Muttersöhnchen
Dieses Wort, dieses Wort konnte er
nicht mehr hören. Er würde einfach einmal allen zeigen, dass er
durchaus imstande war, etwas ohne seine Mami zu erledigen.
"Das ist ein Überfall! Legen Sie
sich auf den Boden und... und Hände über den Kopf, na los!",
brüllte er wenige Sekunden später auch schon in der örtlichen,
zugegebenermaßen wenig Chancen auf die große Beute versprechenden
Bankfiliale, von der Festigkeit seiner Stimme selbst überrascht,
hatte diese ihm doch bei anderen öffentlichen Kommunikationen mit
größeren Menschenmengen in der Vergangenheit bereits mehrmals versagt.
Der Bankleiter, ein beinahe
sechzigjähriger Silberfuchs im höchst eleganten Nadelstreifanzug,
dem in gegebeneren Umständen angesichts seiner charmeversprühenden
melierten Koteletten die Damen zu Füßen lagen, gab sich, nicht mehr
ganz so cool wie sonst, mutiger als er war, und begann auf den
Bankräuber einzureden.
"In Ordnung, wir machen es so, wie
Sie wollen, aber bitte legen Sie die Waffe weg, sie macht einigen
meiner Kunden ja schon Angst!"
Rasch blickte der Bankräuber zum
Schalter hinüber. Dort sah er eine entsetzte, einen
pfefferminzbonbonfarbigen Zweiteiler tragende Lady späteren
Semesters, die schräg, vermutlich eine damenhafte Ohnmacht
vortäuschend, an der Holzverkleidung hing, und sich nur mit ihren
kurzen Fingern festhielt. Sie starrte ihn mit schreckgeweiteten
Augen und ebenso offenem Mund an, und erinnerte ihn damit
unangenehm an seine Tante Cecilia. Um durch diesen plötzlichen
Anblick keine Erinnerungen an diese unsägliche Frau
heraufzubeschwören, befahl er ihr, sich ebenfalls auf den Boden zu
legen. Doch Misses Pfefferminz hatte anscheinend mehr Mut als der
Silberfuchs hinter ihrem Schalter, sie rappelte sich auf und
stolzierte zielstrebig in ihren farbtongleichen Wildlederpumps zu ihm
hinüber, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Alle, besonders
die zwei Kinder, die mit ihrer Mutter und ihren bunten Sparbüchsen
hier waren, und sich von dem Ausflug einen Luftballon erwartet hatten
und keinen Kopfschuss, duckten sich angsterfüllt und um ihr Leben
fürchtend, denn sie billigten der Lady keine allzu großen Chancen
zu, den Übeltäter zu überwältigen. Und schon ertönte ein Schuss
und die Sparefroh-Pappfigur an der Wand verlor ihren Kopf mit der
roten dreieckigen Mütze. Lady Peppermint kreischte, weil der Schuss
beinahe ihre millionenschwere, von protzigen Klunkern klimpernde Hand
weggepustet hätte, und der Bankleiter griff sich theatralisch an die
Brust. Eine junge Frau mit großen Ohrringen blickte genervt auf die
Armbanduhr, und die Kinder sagten: "Maaami!
Maaaaaaaamiiiiiiiiii!!" und "Ich muss lulu".
"Habt ihr jetzt alle kapiert?!",
ließ der Bankräuber mit versucht grausamen Unterton verlautbaren.
"Also her mit der Kohle!"
Seine Aufmerksamkeit galt nun wieder
dem unglückseligen Leiter, der sich schon fragte, ob er heute mit
dem falschen Fuß aus seinem Klöppel-verzierten Bett gestiegen war.
"Alles hübsch in Säcke packen".
"Ähm, so etwas haben wir hier nicht."
"Keine Säcke?
... Hm, na gut, dann eben..." Alle blickten gespannt auf die in
Falten gelegte Stirn des Kriminellen, die scheinbar anzeigte, dass
er angestrengt darüber nachdachte, was als nächstes zu tun sei.
"Dann packen Sie es eben in die
Tasche von der!"
Er zeigte auf die große
Schlangenleder-Handtasche der Pfefferminzlady, ebenfalls im selben
Farbton. Doch diese war damit überhaupt nicht einverstanden, und
wollte sich die Tasche nicht entreißen lassen.
"Was hat die denn für ein
Problem, die ist doch sowieso sowas von out", flüsterte das
Mädchen mit den Ohrringen. Das war nicht sehr hilfreich.
Herausfordernd blickte die bonbonfarbene Dame dem Gangster ins
Gesicht, woraufhin der sich seinem wirksamsten Hilfsmittel, seiner
Pistole, bediente, und diese der Lady unangenehm an das rechte Ohr
hielt.
"Also, jetzt her mit der Tasche,
oder..."
Natürlich war das genug, und die Lady
wollte nun wirklich nicht ihr Leben lassen für eine Tasche, die
nebenbei bemerkt gefälscht war - ihre Tochter erlaubte keine echten
Tierhäute und -haare, die war bei Grienpies oder so. Also ließ sie
sich die Tasche schließlich doch noch nehmen, nicht jedoch ohne
vorher ihren vielfältigen Kram daraus entfernt zu haben. Dann lehnte
sie sich schmollend an den Schalter.
Mit, wie die Geiseln erfreut
feststellten, hastigen Bewegungen reichte der Räuber dem
Bankdirektor den provisorischen Geldbehälter, und für einen Moment
überkam ihn der Gedanke, dass ihn die Leute auf der Straße eventuell schräg ansehen würden, wenn er mit so einer Handtasche
herumliefe. Der Silberfuchs packte die Geldbündel, auf denen viele
gierige Blicke hefteten, in die Pfefferminztasche, und forderte den
Dieb auf, doch hinter den Schalter zu kommen, und sich selbst davon
zu überzeugen, dass dies das ganze Geld war. Das selbe Szenario
wiederholte sich an allen vier Bankschaltern. Die weiteren
Angestellten machten wie erwartet keine Mätzchen, nur ein übermütiger Grünschnabel blickte etwas verdrossen drein, als würde
er die freiwillige Geldausgabe keineswegs billigen. Den Räuber
juckte es in den Fingern, ihm ein Scheinchen hinzuwerfen, und ihm
zuzurufen, sich davon doch eine Krawatte zu kaufen, die Geschmack
hatte. Aber er war ja nicht hier, um Beleidigungen auszuteilen, sondern, um seine Unfähigkeit, Dinge alleine sauber zu
erledigen, zu hinterlegen. Er war sich immer sicherer, dass dafür
eine Tat wie diese erforderlich war.
Als er alle Banknoten eingesackt
hatte, drehte er sich noch einmal im Kreis, um sicher zu gehen, dass
keiner der Gefangenen so dreist war, einen kleinen Fluchtversuch zu
starten. Nein, ein jeder befand sich noch am selben Fleck, die Hände, mit sichtbar zunehmender Anstrengung, wie die
halbherzigen Versuche, die Arme zu entlasten, bewiesen, über dem Kopf haltend.
Der Bankräuber schrie: "Ich werde
jetzt das Gebäude verlassen! Sie bleiben schön hier drin, und
zählen bis 100, bevor Sie gehen, sonst sehe ich mich gezwungen, Sie
über den Haufen zu schießen!"
Einige Gesichter flackerten angesichts
dieser letzten kühnen Drohung erschrocken auf. Der Dieb schritt
langsam rückwärts in die Richtung, in der er die Schiebetüren
vermutete, insgeheim etwas in Sorge, in die Wand zu laufen, und so
seinen gelungenen Abgang zu vermiesen. Aber nein, schon hörte er,
wie sich hinter ihm die Türen öffneten, er trat rücklings hinaus
in die kühle Luft, packte eilends die Pistole ein, und ging hurtigen
Schrittes, die peinliche Tasche fest umklammert, zu seinem Wagen.
Doch dieser war, da dummerweise im Halteverbot geparkt, unverzüglich
abgeschleppt worden, nur ein schmieriger Ölfleck erinnerte noch
daran. Von der Straßenecke her ertönte die wichtigtuerische Sirene
eines Polizeiautos.
(geschrieben im Jänner 2007, also mehr als 8 Jahre alt ;-)
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